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KATALOG:
FRENZI RIGLING. ÜBER DAS
Herausgegeben von: Gerda Ridler
Erscheinungsjahr: 2023
Cover: Hardcover
Sprachen: Deutsch
Seiten: 106 Seiten
Textbeiträge: Monica Budwoski, Laura Egger-Karlegger, Eva Marie Kimpel, Lenz Mosbacher, Gerda Ridler, Frenzi Rigling
Grafikdesign: Renate Kowanz
Verlag: art edition Verlag Bibliothek der Provinz
„Wenn sich einmal alles verändert hat, gibt es kein Zurück“
(Im Katalog: S. 14-19)
Gerda Ridler im Gespräch mit Frenzi Rigling
Gerne möchte ich unser Gespräch mit der Frage nach deinem biografischen Hintergrund und deiner künstlerischen Ausbildung beginnen. Du bist in der Schweiz geboren und aufgewachsen und hast an der Schule für Gestaltung in Zürich studiert. Woher rührt deine künstlerische Neigung und welches Studienfach hast du belegt?
Meine Mutter war Schneiderin, äußerst kreativ und gescheit, mein Vater war Lehrer, hat unter anderem Latein unterrichtet und war zeichnerisch begabt. Kunst war bei uns ein Thema, aber nur bis zur Moderne. Ich habe eigentlich nichts von dem erfüllt, was man von künstlerisch begabten Kindern erwartet hat. Da gab es andere Familienmitglieder, denen man das zutraute. Ich war immer unterwegs und wenn ich mal zur Ruhe kam, produzierte ich sinnlose Objekte. Ich war zur Lehrerin bestimmt und Zeichenlehrerin habe ich dann nach einem Abstecher in die Textildesign-Klasse schlussendlich auch studiert. Ich kann mich erinnern, dass ich mich mit Arbeiten wie übergroßen Pullovern und riesigen modellierten Ketten an der Kunstgewerbeschule beworben habe. Es war eine fundierte Ausbildung bei Lehrer:innen mit geheimer Leidenschaft: schöne Farbenlehre nach Itten und intensives Forschen in Naturstudien.
Inwieweit schlagen sich biografische Aspekte in deiner Kunst nieder?
Dass ich heute mühelos mit Textilem arbeiten kann, hat damit zu tun, dass meine Mutter Schneiderin war und ich meine Jugend neben Nähmaschinen, Webstuhl und Klöppelkissen verbrachte. Meine Mutter hat mir ihre Textilien vermacht und ich habe mich gefreut. Es interessiert mich, wie ich damit arbeiten kann.
Du lebst seit mehr als dreißig Jahren in Österreich. Was hat dich bewogen, von der Schweiz nach Österreich zu übersiedeln?
Nach meiner Ausbildung habe ich einige Zeit unterrichtet. Wie sage ich, dass es mir in der Schweiz zu eng war, ohne dass es überheblich klingt? Ich wollte nach Wien, ich wusste wer dort an der Akademie unterrichtete: Rainer, Lassnig, Mikl, Hollegha – sicher spannend?! Ich kam nach Wien und war so überrascht von dieser Stadt. So nah an der Schweiz – und dennoch wurden die Schweinehälften noch auf den Schultern zu den Geschäften getragen. „Schau ma mal“ – „vielleicht gehts doch“: Das kannte ich nicht, aber ich liebte es sofort. Natürlich bin ich nicht in die Akademie gegangen, sondern in „die Bar“.
Mit deinem Mann, dem Künstler Alois Mosbacher, lebst und arbeitest du in Wien und seit zehn Jahren auch im niederösterreichischen Obermarkersdorf. Erhöht die Ruhe und Abgeschiedenheit im Norden des Weinviertels die künstlerische Produktivität?
Ich liebe diese Landschaft und ich mag die Leute hier. Als „Zugreiste“ werde ich nie ganz dazugehören, aber dieser Zustand ist mir nicht unangenehm. Hier wissen die Leute, meist Bauern, welche Arbeit, wann zu tun ist. Das Gefühl, dass die Jahreszeiten den Tagesablauf bestimmen, mag ich sehr.
Ihr beide reiht euch ein in die Riege berühmter Künstler:innen-Paare. Allerdings gibt es keine kollektiven Werke, sondern zwei völlig eigenständige und autonome Œuvres. Alois ist Maler. Wie würdest du deine Idee von Kunst beschreiben?
Ich habe zwar auch Malerei studiert, aber ziemlich bald waren andere Medien wichtiger für mich. Ich habe immer Interesse am Prozesshaften gehabt und das Endprodukt nie für so wichtig gehalten. Aber ist Kunst nicht einfach: über existentielle Fragen nachdenken, Resultaten eine Form geben und sinnlich darzubieten? Ich habe mich noch nie gefragt, ob das verrückt ist.
Oft sind es Materialien deines Umfelds oder Tätigkeiten wie zyklische und routinemäßige Arbeiten im Haushalt und Garten, die du als Künstlerin in den Fokus nimmst. Oder anders gesagt: Du findest das Besondere im Alltäglichen. Willst du mit deiner Kunst unsere Perspektiven auf den Alltag umkrempeln?
Ist das Gefühl, über einen Teppich zu gehen, Alltag? Alltag ist Routine, ist gewöhnlich – darüber denke ich nach. Alltag hat viel mit Struktur und Ordnung zu tun. Er wird so strukturiert, damit er möglichst reibungslos abläuft. Diese Systeme der Alltagsbewältigung sagen viel über eine Gesellschaft aus und das interessiert mich. Die Schönheit und Freiräume der erarbeiteten Alltagsstrukturen sehe oder suche ich, erkenne sie und verwende sie für meine Arbeit.
Das Thema Mutterschaft und künstlerische Karriere wird vielfach kontrovers diskutiert. Renommierte Künstlerinnen wie Marina Abra¬mović oder Tracey Emin vertreten die radikale Position, dass Muttersein in der Kunst ein Makel ist. Du hast zwei erwachsene Söhne. Wie ist deine Haltung dazu?
Dieses Thema hat sicher für alle Künstlerinnen große Wichtigkeit. Es bedeutet Verzicht in alle Richtungen! Ja, Mütter gehören viel zu wenig zum Kulturbetrieb. Was ich nicht verstehe, ist, warum kinderlose Frauen solche Ansagen machen. Denn wieder verlangt es von uns Frauen Rechtfertigungen in alle Richtungen – typisch weiblich. Wer fragt die Künstlermänner …? Wo sind die mutigen, feministischen Galeristinnen?
Von Virginia Woolf gibt es den bekannten Leitspruch, dass jede kreative Frau einen Raum für sich alleine (A Room of One’s Own) braucht, um in Ruhe arbeiten zu können. Hattest du immer diesen Freiraum?
Der Raum ist ja nicht automatisch da. Es hat sicher Zeiten gegeben, da fehlte mir die Kraft, darüber nachzudenken. Aber, wenn ich diesen Raum habe, geht es mir gut.
In deinem künstlerischen Werk geht es oft um Wandlungsprozesse. Ist Veränderung eines deiner künstlerischen Leitmotive?
Veränderung zulassen und aushalten ist für mich eine tägliche Übung. In der Kunst arbeite ich gerne mit Modulen, Bausteinen. Die Arbeiten schlagen vor, stoßen an und können sich lange verändern. Meine Arbeitsweise ist sehr langsam – bis zuletzt möchte ich noch vieles offen halten.
„Wenn sich einmal alles verändert hat, gibt es kein Zurück.“ Wie passt dieses Zitat aus dem Roman Die Grasharfe von Truman Capote zu deinem künstlerischen Schaffen?
Die Grasharfe ist tatsächlich ein Buch, das mich seit meiner Jugend immer begleitet hat. Bei deinem Zitat fehlt noch das Satzende: „Wenn sich einmal alles verändert hat, gibt es kein zurück; die Welt wusste um uns.“ Dieser kleine Halbsatz, der ist entscheidend und interessiert mich. Ich halte sehr viel von Versöhnung.
Dein Garten ist sicherlich auch Inspirationsquelle, du bezeichnest ihn ja als erweitertes Atelier. Dem Salbei widmest du eine besondere Werkserie.
Der Garten nimmt momentan einen großen Raum ein in meiner Inspiration. Er hilft mir, aus dem „Geschehen“ in eine Stille zu treten. In dieser Mitte kann ich die Kraft aus der Umgebung wahrnehmen und umsetzen. Reflexion durch Abstand … Salbei, eine Heilpflanze der Familie der Lippenblütler, mit großer Trockenheitstoleranz, ist auf fast allen Kontinenten heimisch. Mit einer Pflanze zu arbeiten, die jeder kennt, ergibt für mich großen Sinn.
Sprache und Schrift haben eine wesentliche Bedeutung in deinem künstlerischen Werk. Bei deinen Schriftbildern liegt das Hauptaugenmerk nicht auf der Schrift, sondern auf den Räumen zwischen den Buchstaben. Was interessiert Dich an Auslassungen und Leerstellen?
Was zwischen den Aussagen liegt, hat mich schon immer interessiert – verstärkt, seit ich in Österreich lebe. Mit meiner schweizerischen Langsamkeit bleibe ich oft in den Atempausen hängen. Und damit arbeite ich. Es braucht Räume, um Zwischenräume spürbar zu machen, egal wie meine Befindlichkeiten sind.
In unserer Ausstellung zeigst du Schafwollteppiche mit farbigen Punkten. Repräsentieren Sie etwas Bestimmtes oder sind sie als Metaphern eingesetzt?
In Irland habe ich zum ersten Mal riesige Herden von bunt besprühten Schafen gesehen. Ich war begeistert und habe mich nach dem Sinn gefragt. Diese bunten Flecken auf den Schafen geben einer Herde ein System und schon sind sie gezähmt: rot – mit Zwillingen, trächtig; blau – mit Einlingen; grün – leer. Was sollen wir mit diesen Schafen machen?
In manchen deiner Werke ist ein offensichtlicher Bezug zur konkret-konstruktiven Kunst gegeben. Wenn du etwa wie bei den Boards farbige Polster aufeinanderschichtest oder die aufgenähten Stoffreste auf deinen Bildern wie geometrische Strukturen wirken. Suchst du manchmal bewusst kunsthistorische Referenzen?
Bei den erwähnten Arbeiten bin ich von der Idee des Würfelpuzzles ausgegangen. Malerische Klänge sollten durch verschiedene Anordnungen sichtbar gemacht werden können. Das Material sollte aus dem Alltag kommen und die Realisierung mit Anleitung von allen selber umsetzbar sein. Die Maße der rechteckigen Module beziehungsweise Bausteine habe ich aus meiner Umgebung geholt: Kissen, Radio-Box, Stuhlfläche etc. haben die Größen bestimmt. Mit der Beschäftigung haben diese Arbeiten die konkrete Form angenommen. Bei vielen Arbeiten mit sinnlichen Materialien – dazu gehören auch oft meine Arbeiten mit Textilien – reduziert sich die Form in der Zeit der Beschäftigung und der Ausarbeitung. Ich würde diese Arbeiten nur mit einem Augenzwinkern als im klassischen Sinn konkret-konstruktiv sehen. Der Arte Povera fühle ich mich näher – sie ist für mich nicht so absolut.
Das von Wettbewerb und Aufmerksamkeitsökonomie geprägte Kunstsystem ignoriert oftmals (weibliche) Positionen, die mit alltäglichen oder textilen Materialien arbeiten. Hast du die Erfahrung gemacht, dass deine künstlerische Arbeit deshalb weniger Beachtung und öffentliche Wertschätzung erfährt?
Ja, diese Erfahrung habe ich gemacht. Wenn man als Frau mit Stoffen und Textilien arbeitet, wird man sofort abwertend als Textilkünstlerin bezeichnet. Niemand bezeichnet Beuys wegen seiner Filzarbeiten als Textilkünstler.
Das stimmt. Beim Thema Materialien zeigt sich einmal mehr, wie es um die gleichberechtigte Wahrnehmung von Künstlerinnen steht. Es braucht dringend mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Kunst. Die Art und Weise, wie du Stoff und Stoffreste in deiner künstlerischen Praxis einsetzt, ist einzigartig und eigenständig. In seiner sanften Radikalität ist dein vielstimmiges Schaffen beispiellos.