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Gerda Ridler: Ausstellungsbesprechung „Not Vital. IR“
Museum der Moderne, Salzburg. In: Kunstmagazin PARNASS, 01/2021, S. 154-155.
Das Museum der Moderne Salzburg widmet dem Schweizer Künstler Not Vital die erste museale Einzelausstellung in Österreich. Die sehenswerte Schau stellt einen humorvollen Zeitgenossen und rastlosen Kosmopoliten vor, dessen Œuvre alle Kontinente umspannt und auf einer Insel im wilden Patagonien genauso zu finden ist wie im schweizerischen Unterengadin.
Not Vital, der einen für das Engadin typischen Vornamen trägt, wurde 1948 in Sent, einem Schweizer Bergdorf in der Grenzregion zwischen Österreich und Italien geboren. Die Enge der Bergwelt mag ein Grund sein, warum es den Künstler schon früh in die weite Welt zieht. Paris, Rom, New York sind die ersten Stationen seiner Künstlerlaufbahn, später folgen längere Aufenthalte in Niger, Brasilien, Italien, Chile oder in China. Seit 2008 ist Peking das Zentrum seines weltumspannenden Kunstunternehmens. Not Vital wird oft als Nomade beschrieben, als Einer, der von Kontinent zu Kontinent zieht, um sich beständig neue Wohn- und Arbeitsstätten in den verschiedensten Teilen der Erde zu erschließen. Seit fünfzig Jahren erkundet Vital fremde Kulturen, interessiert sich für deren Lebensweisen und Handwerkstechniken, woraus ein vielschichtiges Œuvre entstanden ist, in dem archetypische Formen aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt in eine individuelle Mythologie überführt werden.
Not Vital ist nicht nur Nomade im geografischen Sinne, er wandert auch stilsicher zwischen den Genres Grafik, Malerei, Skulptur und Architektur – das dokumentiert die eindrucksvolle Ausstellung im Museum der Moderne in Salzburg mit dem Titel „IR“. Der Begriff aus der rätoromanischen Muttersprache des Künstlers bedeutet „gehen“ und verweist nicht nur auf die künstlerische Praxis des Reisens sondern auch auf eine Mobilität des Geistes, eine Neugier und Agilität, die Abenteurer im Allgemeinen und den Künstler im Besonderen auszeichnen. „Weggehen und sich bewegen ist etwas sehr Natürliches“ sagt Not Vital. „Ich muss reisen, dann kommen die Ideen und Inspirationen“.
Dass Not Vital ein Mann mit Humor und einer kindlich-spielerischen Seite ist, das spürt man in seinen Werken, vor allem in der Installation mit 140 formal reduzierten und collagenartigen Zeichnungen, die Alltägliches mit alltäglichen Materialien visualisieren. Die Umrisse eines Hauses werden mit Zahnseide oder Schuhbändern dargestellt, Berge aus blauem Plastik oder Textilklebebändern geformt, das Bellen eines Hundes oder das Landen eines Flugzeugs mit wenigen gekonnten Pinselstrichen bildhaft gemacht. Die Kunst von Not Vital hat immer auch surreale Züge, die besonders dann deutlich werden, wenn er unzusammenhängende Objekte kombiniert, wie ein auf dem Rücken liegendes Tier, das ein überdimensionales Ei balanciert oder menschliche Organe, die in maßgeschneiderten Lederschuhen stecken. Von ungewöhnlicher Eindrücklichkeit ist auch die mehrere Meter lange Wandgestaltung mit Kunsthaar, aus der Schafszungen aus Bronze herauszüngeln (Small Tongues, 1997). Ein Tier, das den Künstler seit seiner Kindheit fasziniert, ist das Kamel. Es ist Inbegriff für eine nomadische Lebensform und ist in der Salzburger Ausstellung als Installation mit 300 zerborstenen Kamelköpfen aus Gips und als begehbare Skulptur in Form eines gewaltigen Kamelkopfes präsent. Bei diesem Blow-Up hat der Künstler Innen und Außen umkehrt. Außen sind die Schweißnähte des Herstellungsprozesses sichtbar, im Inneren präsentiert sich Camel (2018) mit einer glatten und reflektierenden Oberfläche. Viele seiner skulpturalen Objekte präsentiert der Künstler auf hohen Edelstahl-Stangen und will damit den Blick der Menschen nach oben richten. Dort entdecken wir sein House to Watch the Sunset (2016) en miniature oder die Büste des Künstlers, die in mehreren Stufen zu einem Esel mutiert (Half Man Half Animal, 1998-2012). Am Ende des Ausstellungsrundgangs begeistert Calming Room (2020), ein schmaler holzverkleideter Gang, der fabelhaft nach Zirbelkiefer duftet. Zirbe soll die Fähigkeit besitzen, den Pulsschlag zu senken, so ist Vital überzeugt. Man verlässt daher entspannt die Ausstellung und entdeckt im Treppenhaus noch Golden Duck, eine vergoldete Pekingente. Diese Arbeit realisierte Vital erstmals 2009 nach den Olympischen Spielen in Peking. Die Sieger, so befand der Künstler, sollten anstatt einer Medaille lieber einen Entenbraten gewinnen. Not Vitals spielerischer Umgang mit Kunst und seine universellen Themen sind imstande, Menschen unterschiedlichster Kulturen zu verzaubern.
Gerda Ridler [ März 2021 ]